Album der Woche
Yu mit „Please Hold The Line“
„Die ersten Schritte“, „Die zweiten Schritte“ und jetzt „Please Hold The Line“, das dritte Album von Yu. Der 21-jährige Sänger ist linkspolitisch geprägt und bringt das auch mit seinen Liedern rüber. Er übt oft Gesellschaftskritik und erzählt von Gefühlen, die fast jeder junge Mensch versteht: zum Beispiel Angst vor der Zukunft oder dem Alleinsein.
Kein Wunder, dass die Musik von Yu von der Norm abweicht, denn sie ist das Resultat eines Lebenslaufs, der sich von anderen völlig unterscheidet. Er ist in Troisdorf in der Nähe von Köln geboren. Außerdem weiß Yunus, wie Yu bürgerlich heißt, schon im Kindergarten, dass er irgendwann einmal Musiker werden wird. Aber bis das passiert, testet ihn das Leben. Ihm wird Autismus und ADS diagnostiziert, seine Familiensituation ist nicht einfach.
Yunus’ Vater lässt die Familie im Stich, als Yu drei Jahre alt ist, das Verhältnis zum neuen Partner der Mutter ist angespannt. In der Schule erhält Yunus in den Pausen rassistische Beleidigungen wegen seines türkischen Namens. Seine Jugend ist durch Schulwechsel und Therapiestunden gekennzeichnet. Seine Entlastung von Stress ist ganz klar die Musik. Yunus bringt sich selbst das Gitarrespielen bei, belegt Gesangsunterricht und spielt auf den Straßen von Nordrhein-Westfalen. Als er im Alter von dreizehn Jahren seinen ersten eigenen Songtext verfasst, der von Battlerap inspiriert ist, erkennt er, wie leicht ihm das Reimen fällt.
Yunus lädt zum Ende des Jahres 2021 seinen ersten eigenen Song auf Spotify hoch, und ein halbes Jahr später widmet er sich dem Projekt Yu mit voller Kraft. Eine deutliche Vorstellung hat sich da schon entwickelt: Indiepop mit klaren Botschaften – gesellschaftskritisch, satirisch und manchmal übertrieben. Yunus’ großes Idol Alligatoah wird schnell auf seinen TikTok-Kanal aufmerksam, nimmt umgehend Kontakt auf und integriert ihn in das Vorprogramm seiner „Retour“-Tour. Nach den ersten Bühnenerfahrungen und viel Stunden im Studio folgen innerhalb weniger Monate die ersten Vertragsverhandlungen und nebenbei entstehen auch die ersten vielbeachteten Hits. Im Mai 2023 wird das Stück „Unique“ populär, und wenige Monate später erreicht die Single „Moshpit“ über eine Million Aufrufe auf Spotify.
Zukunft ohne Rassismus und Unterdrückung
Mit visionären Lyrics malt Yu das Bild einer Zukunft, einer Welt, in der alle Menschen geschätzt werden. Die Texte von Yu sind eine Mischung aus Ironie und Gesellschaftskritik. Er setzt sich in seinen Liedern und auf den Straßen für Gerechtigkeit ein. Seine Musik soll zum Nach- und Umdenken anregen.
Das Album wirkt wie ein sorgfältig ausgewähltes Durcheinander, in dem alles auf die eine oder andere Weise zueinander passt. Eingängige Melodien verbinden das alles zu einem Album mit Liedern, die oft mit unerwarteten Perspektivwechseln und provokanten Punchlines überraschen. Yu stellt die Unbeständigkeit seiner Generation in Songs dar. Manche Songs enthalten Indie-Beats, dann experimentiert er mit Synthesizern und fast schon melancholischen Pop-Hooks. Dennoch ist „Please Hold The Line“ ein zusammenhängendes Gesamtwerk.
Alligatoah, Nazis und Psychopathen
Was denkt ihr, wenn ihr den Namen vom Lied „Nazis Erschiessen“ hört? Es geht nicht nur darum, gegen den Rechtsextremismus zu demonstrieren, sondern auch um eine Lovestory. Mithilfe von Straßenkampfmetaphern, bissigen Gitarrenriffs bittet Yu um die Hand von jemandem, in den er sich verliebt hat. In diesem Lied könnt ihr eine Referenz zu Alligatoah hören, weil Yu die Phrase „Willst du mit mir“ vom Hit „Willst du“ eingebaut hat. Kein Wunder, der deutsche Rapper Alligatoah ist einer der Produzenten des Albums. Der berühmte deutsche Rapper baut in seine Lieder auch wichtige soziale Themen ein.
Wenn die ganze Welt explodiert, ist es normal, nicht zu verstehen, was passiert. Darüber geht das zweite Lied „Safe Psychopaten“. Yu versteht nicht, ob es normal ist, dass man sich selbst verliert. Das Lied ist voll mit Humor und Gitarrenriffs. Die scharfen Wörter zeigen neben der kraftvollen Musik, dass junge Leute sich jeden Tag dem Druck der Erwartungen anderer stellen.
Wer wünscht es sich nicht? „Ich will keine Angst“ – so heißt eine Songzeile im Lied „Angst“ von Yu. Es geht um Angst vor Hasskommentaren, der Zukunft und davor, Angst zu haben. Es ist ein ewiger Kreislauf. Die Unsicherheit lässt Yu nicht leben. Er kann nicht schlafen, weil er immer mit der Angst allein ist. Ihr könnt die Angstzustände auch durch die Musik hören. Die 16 Lieder haben verschiedene Themen, aber die eingängigen Melodien verbinden das alles als ein Album.
Einmal sehen ist hundertmal besser
Nach einem erfolgreichen ersten Festivalauftritt im Sommer 2024 und einer Tour im Dezember, die nach drei Tagen ausverkauft war, könnt ihr euch auf weitere Konzerte von Yu freuen. Im Mai ist er auf seiner zweiten Headliner-Tour, der „YU & You & You Tour“. Dafür wird er nicht nur Deutschland unterwegs sein, sondern auch in der Schweiz und in Österreich.
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Autor: Olena Ponomarenko