Interview
Lösungen zur Energiewende
Die Energiepreise in Europa und vor allem in Deutschland steigen in neue Rekordhöhen. Während die Politiker*innen in Frankreich, Spanien und weiteren europäischen Ländern schon Maßnahmen zur Preisbegrenzung verabschiedet haben, steht die deutsche Regierung dem Problem aktuell ohne Lösungsansatz da. Wir haben mit einen Energie-Experten der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen/Nürnberg (FAU) über die steigenden Preise und mögliche Maßnahmen zur Eindämmung gesprochen.
Prof. Dr. Ing. Jürgen Karl ist der Lehrstuhlinhaber für Energieverfahrenstechnik an der FAU Erlangen/Nürnberg. Er veröffentlichte das Buch „Klimawende – Eine Energiebilanz für morgen“ und beschäftigt sich bei seinen Forschungen schwerpunktmäßig mit erneuerbare Energien.
Guten Tag, Herr Prof. Dr. Karl! Sie sind Inhaber des Lehrstuhls für Energieverfahrenstechnik. Deswegen frage ich Sie als Experten mal direkt: Wie können wir die derzeit hohen Energiepreise wieder in den Griff bekommen?
„Es steigen vor allem die Strompreise, natürlich auch die Gaspreise. Die Ursache dafür, dass die Strompreise steigen, ist einfach die, dass wir immer noch zu wenig erneuerbare Energien haben. Also das heißt, der Strompreis im Großhandel errechnet sich eben aus Angebot und Nachfrage, und dadurch, dass jetzt zunehmend Kohle- und Kernkraftwerke altersbedingt auch vom Netz gehen müssen, ist eben das Angebot verringert. Und da wir nicht im gleichen Maß mit erneuerbaren Energien ausgebaut haben und das nachholen, wird der Strompreis einfach weiter steigen.“
Energiewende als Lösung
Das heißt, eigentlich sind die Ressourcen zur Energiegewinnung aktuell zu teuer. Aber Kernenergie hätte das Problem zeitweise abfedern können. Denken Sie, dass der gleichzeitige Ausstieg aus der Kohle- und Kernkraft ein falscher Schritt war?
„Nein, das war absolut nicht der falsche Schritt, weil der einfach physikalisch notwendig war. Also gerade die Kohlekraftwerke, die jetzt vom Netz gehen – Braunkohlekraftwerke – haben jetzt ein Durchschnittsalter von 54 Jahren. Sie sind einfach am Ende und wir haben im Prinzip keine Alternative, die weiterlaufen zu lassen. Und noch extremer ist natürlich die Situation mit den Kernkraftwerken. Kernkraftwerke haben physikalisch bedingt eine maximale Lebensdauer von etwa 40 Jahren. Und die ganzen Kernkraftwerke – nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich – sind am Ende ihrer Lebensdauer – oder die allermeisten. Wir haben im Prinzip keine Alternative, diese tatsächlich auch vom Netz zu nehmen, wenn wir nicht ganz stark in eine Gefährdung reinlaufen wollen. Also es war der richtige Schritt oder der natürliche Schritt, diese jetzt auch nach und nach vom Netz zu nehmen. Und wir haben lediglich versäumt, den Ausbau erneuerbarer Energien hinreichend voranzutreiben.“
Wir müssen also umstellen, um die Gefährdung der Umwelt, aber auch der Bevölkerung auszuschließen. Aber bei den erneuerbaren Energien sind wir sehr vom „Wetter“ und der Natur abhängig. Können erneuerbare Energien trotzdem den auch wachsenden Bedarf in den nächsten Jahren decken?
„Natürlich könnten sie den Energiebedarf decken. Wir hatten auch einen deutlich stärkeren Ausbau – also bis vor Fukushima – 2010 und 2011 war der Ausbau erneuerbarer Energien mehr als doppelt so stark, wie wir ihn momentan haben. Also das heißt, das Problem war, dass im Jahr 2012 das erneuerbare Energien-Gesetz novelliert wurde mit gleich zwei Novellen in einem Jahr. Dadurch wurde der Ausbau ganz massiv gebremst – ganz vorsätzlich. Und wäre das nicht passiert, hätten wir momentan genug erneuerbare Energien. Dann kam eben hinzu, dass vor allem die Windenergie immer mehr blockiert wurde, zum Beispiel durch die „10H-Regel“ in Bayern, und das sind einfach die politischen Gründe, den ansonsten richtig vielversprechenden Ausbau auszubremsen.“
Biomasse: Hauptträger der Energiewende
Wenn es um den Ausbau geht, ist Biomasse auch ein großes Thema. Darunter versteht man alles Mögliche an pflanzlichen Stoffen, aus denen man wiederum Gas gewinnen kann. Sie sind mit Schwerpunkt in diesem Forschungsgebiet tätig. Wie wichtig ist Biomasse für unsere zukünftige Energiegewinnung?
„Wenn wir ein wenig in die Historie reinschauen, war es ja eigentlich immer so, dass sogar die Biomasse in frühen Jahren, Ende der 90er Jahre/Anfang der 2000er Jahre, als die wichtigste der erneuerbaren Energien gesehen wurde. Und diese kam in den letzten Jahren dadurch ein wenig in Verruf, dass natürlich ganz stark auch die Biogasanlagen ausgebaut wurden. Mit den ganzen ökologischen Folgen, Vermaisung der Landschaft, Nitratbelastung in den Böden und so weiter.“
Die Folgen daraus sind für die Umwelt schlimm, aber durch gesetzliche Regelungen und andere Nutzweise dieser Energiegewinnung könnte Biomasse helfen, mehr Strom ins Netz zu bringen und die Preise so wieder zu senken, nehme ich an.
„Strom aus Biomasse ist tatsächlich schon noch mal ein Stückchen teurer als Strom aus Wind und Photovoltaik (PV). Strom aus PV beispielsweise ist das Billigste und Günstigste, was wir heute machen können, sogar bei uns in Deutschland, wo wir relativ wenig Sonne haben. Biomasse bzw. -energie ist ein bisschen teurer. Aber insgesamt brauchen wir einfach den Strom. Und was die Politik bis jetzt gar nicht richtig realisiert hat: Der Strombedarf wird in den nächsten Jahren steigen.“
Politische Mitverantwortung und Steuern
Die Regierung hätte dem Thema viel früher ihre Aufmerksamkeit widmen sollen, um auch die Verbraucher*innen richtig zu schützen. Aber es gibt ja noch die Möglichkeit, Strom aus dem Ausland zu beziehen. Beim aktuellen Ausbau von erneuerbaren Energien wird in letzter Zeit immer wieder über eine Frage diskutiert: Betreibt Deutschland „Greenwashing“ im Energiebereich durch den Import von Kohle- und Kernkraftstrom aus den EU-Nachbarländern?
„Das ist nicht ganz richtig. Tatsächlich exportieren wir überwiegend Strom. Der Strommarkt ist natürlich ein ständiges Nehmen und Geben. Das heißt, es wird immer ein bisschen über die Grenzen ausgetauscht. Momentan exportieren wir eigentlich in alle Nachbarländer – mit einer Ausnahme: Bei Frankreich ist es so, dass wir auch ein bisschen was exportieren, aber mehr importieren als wir exportieren. Also unterm Strich exportieren wir. Und gerade Länder wie die Niederlande oder Italien sind auf unsere Exporte auch ganz massiv angewiesen. Und von daher machen wir das „Greenwashing“ im Prinzip für die Niederländer*innen, weil sie noch viele Kohle- und Gaskraftwerke und auch zu wenig Wind haben.“
Wenn wir für andere Länder sogar „Greenwashing“ betreiben und generell schon im Energiebereich mehr CO2 einsparen, sind wir da schon gut dabei. Aber ist dann eine CO2-Steuer, die vor allem die Bürger*innen betrifft, der richtige Weg?
„Ich bin überzeugt, das bleibt weiterhin ein wichtiger Schritt. Ich bin auch überzeugt, dass es ein zu kleiner Schritt ist, weil der Anteil der CO2-Kosten am heutigen Benzinpreis wirklich marginal ist. Das sind nur ganz wenige Cent, die eben dadurch zustande kommen, dass das Zertifikat oder der Preis pro CO2-Tonne momentan noch bei 25 Euro – also viel zu niedrig – angesetzt ist. Die eigentlichen Preistreiber*innen sind ganz andere. Das sind natürlich auch andere Energiesteuern und solche Dinge. Aber vor allem natürlich auch im Benzin- und Gassektor die Großhandelspreise.“
Das heißt, diese Steuer beeinflusst den Preis Ihrer Meinung nach nur wenig. Um aber mit den erneuerbaren Energien zumindest die Strompreise zu senken, bedarf es noch Einiges an politischer Arbeit. Vor allem Energiespeicherung wird in den nächsten Jahren dann ein immer wichtigeres Thema. Was wünschen Sie sich in der Hinsicht von der Regierung?
„Unbedingt und da bin ich natürlich auch ein bisschen unzufrieden, weil einfach viel zu viel Förder- oder Forschungsgelder in große Demonstrationen und irgendwelche Wasserstoff-Tankstellen läuft, die man möglicherweise gar nicht braucht. Und viel zu wenig in dieses Speicherthema. Das heißt, Speicher sind tatsächlich eine Schlüsseltechnologie für die Energiewende. Und da gibt es nicht nur Batterien, sondern auch Kano-Batterien und sehr spannende Technologien. Aber wir bräuchten im Prinzip sowas Ähnliches wie ein „Erneuerbare Energien-Speicher-Gesetz“. Das würde ich mir tatsächlich von der neuen Bundesregierung wünschen. Dass sie den Mut aufbringt, ein großangelegtes Investitions- und Förderprogramm auch für Speichertechnologien aufzulegen.“
Das Interview führte Manuel Bogdahn.
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