Album der Woche

Tocotronic mit „Golden Years“

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Eines ihrer wohl intimsten Werke ist laut Tocotronic ihr aktuelles Album „Golden Years“. Es ist ein Rückblick, aber kein nostalgischer Tagtraum. Es ist vielmehr eine reflektierte Reise durch das Gestern, Heute und Morgen. Themen wie Tod, Abschied und Trauer spielen eine prominente Rolle, jedoch betont die Band, dass es kein „Konzeptalbum über den Tod“ sei. Stattdessen verbindet das Album tief persönliche Inhalte mit einem offenen künstlerischen Ansatz.

Mit dem Album „Golden Years“ möchten Tocotronic ihre besten, aber auch schlechtesten Jahre zelebrieren. Diese Doppeldeutigkeit findet sich auch im Titel wieder:

 „Wir fanden, ‚Golden Years‘ ist ein schöner Titel, weil er ein offenes System markiert. Es ist ein doppelsinniger Titel, wie wir das schon oft hatten und wir mögen diese Doppelsinnigkeit, weil sie immer einen Raum für mögliche Bedeutungen lässt. Für den einen ist das vielleicht sarkastisch angesichts der finsteren Zeiten, in denen wir leben. Für den anderen ist es vielleicht ein Hoffnungsschimmer, für den nächsten ist es vielleicht lustig im Sinne von ‚Golden Years‘ als Euphemismus fürs Rentenalter. Wir sind ja lang schon dabei und ein Rockjahr sind 7 Menschenjahre, hatten wir auch schon ein paar Mal gesagt, so bisschen wie beim Hund. Es gibt also da verschiedene Ebenen.“

– Sänger Dirk von Lowtzow im Interview mit radioeins

Seit mittlerweile 30 Jahren liefern Tocotronic Songs für Melancholiker, Weltversteher und alle, die es noch werden wollen. Von den Anfängen als Hamburger Studenten mit kratzigen Melodien bis hin zu hymnischen, poetischen Kunstwerken. 1993 wurde die deutsche Rockband gegründet. Der Name ist abgeleitet von der japanischen Spielkonsole Tricotronic, einem Vorgänger des Game Boys. Mit „K.O.O.K“ (1999) wurden die drei dann erstmals kommerziell erfolgreich. Das Album schaffte es in die Top Ten der deutschen Album-Charts. Seither folgten 13 Studioalben und unzählige Konzerte oder Auftritte. Mit ihrer Musik verarbeiten Tocotronic tiefe Gefühle und einschneidende Erlebnisse wie Verlust, Liebe und die Frage, was bleibt.

„Festsitzen zwischen Traum und Wirklichkeit“

So beschreibt Sänger Dirk von Lowtzow den Song „Der Tod ist nur ein Traum“ auf dem Album „Golden Years“. Tod wird hier metaphorisch als ein Traum dargestellt. Mit sanften Akkorden beginnt das Lied und konfrontiert die Hörer*innen dann aber zunehmend mit der harten Realität der Endlichkeit. Die Band möchte Menschen, die gerade trauern, durch diesen Song Trost spenden ohne die typischen Beileidsbekundungen. Menschen, die einen schweren Verlust erleiden, sollen trotz dessen nicht ihre Lebensfreude verlieren. Auch Sänger van Lowtzow verlor früh seinen ältesten und besten Freund. Die Band setzte sich somit schon in frühem Alter mit dem Tod auseinander. Damit man den Kopf nicht hängen lässt, produzierten sie den Song „Bleib am Leben“. Dieser hat eine fast euphorische Kraft. Mit verzerrten Gitarren und einem treibenden Rhythmus vermittelt es eine lebensbejahende Botschaft. Der Song betont die Wichtigkeit des Weiterlebens und das Durchhalten, insbesondere wenn einem vom Leben Steine in den Weg gelegt werden.

Der Song „Ein Rockstar stirbt zum zweiten Mal“ beschäftigt sich nicht mit der Endlichkeit des Lebens, sondern mit der Vergänglichkeit des Ruhms. Denn auch Tocotronic hatte viele Herausforderungen beim Älterwerdens. Sie haben schon sehr viele Veränderungen und Wiedergeburten hinter sich. Immer wieder sind sie auf der Suche nach was Besserem, nach dem perfekten Song und dem krassen Durchbruch. Aber sie stolpern immer wieder und hadern mit sich selbst. Der Song zeigt die Selbstreflexion der Band und wie sie sich selber immer wieder stoppen müssen, nicht zu hart zu sich zu sein.

Nicht nur meckern, sondern machen

Tocotronic verbinden somit tief persönliche Inhalte mit einem offenen künstlerischen Ansatz. Dabei findet sich auch die politischen Meinung der Band wieder. Die 53-Jährigen sind vor allem in der linken Szene aktiv und verpacken somit auch gerne politische Messages in ihren Songs. Die Band spielte schon auf verschiedensten politischen Kampagnen wie zum Beispiel 1997 auf dem Wildwasser Konzert gegen sexuelle Gewalt. Auch arbeiten sie gemeinsam mit Pro Asyl für den Schutz Geflüchteter. Der Song „Denn sie wissen, was sie tun“ auf dem Album „Golden Years“ ist das perfekte Beispiel . Sie fordern mit der Zeile „Wenn wir sie auf die Münder küssen, machen wir sie schneller kalt“ dazu auf, Liebe als Antwort auf Hass und Intoleranz zu wählen. Tocotronic sagen selber, dass diese Strategie oftmals von Kindern genutzt wird und somit das ganze Lied etwas von einem Kinderreim hat. Denn bei solchen Protestsongs braucht es ein paar Stolperfallen, um aufzufallen. Somit fordert die Band mit eingängigen Melodien und einem pop-rockigen Sound mehr Mitgefühl und Verständnis in einer intoleranten Welt.

Das ganze Album ist ein musikalisches Mikro-Lebensdrama, genau wie die gleichnamige Single „Golden Years“. In diesem Lied reflektiert Dirk von Lowtzow die goldenen Jahre der Band und durchlebt nostalgische Erinnerungen. Durch das Lied und auch das ganze Album laden Tocotronic die Zuhörer*innen dazu ein, die eigenen persönlichen Highlights und die schönsten Erinnerungen noch einmal zu fühlen. Insgesamt ist das Album ein Werk über Zeit, Veränderung und vielleicht ja doch ein bisschen Nostalgie.

Unsere weiteren Alben der Woche findet ihr hier.

Autorin: Lara Bröß